Ayurveda

Philosophische Grundlagen - Die traditionelle Medizin in Indien - Ayurveda

Philosophische Grundlagen von Ayurveda

Für eine Übertragung der Erkenntnisse der altindischen Medizin in den heutigen westlichen Bereich muß man sich zunächst mit den Grundlagen vertraut machen. Erst wenn man die Grundlagen verstanden hat, wie sie uns aus den alten Texten überliefert sind, kann man sie in Bezug auf moderne wissenschaftliche Erkenntnisse spezifizieren und auf moderne Problemstellungen anwenden. Wenn man heute eine Wissenschaft betrachtet, gibt es immer eine Überprüfung der Grundlagen. Die Wandlung der Physik der letzten hundert Jahre z.B. ist gerade durch eine solche Überprüfung ermöglicht worden. Vieles, was damals Gültigkeit hatte, gilt heute als überholt. Wie es nicht möglich ist, die Physik ohne ihre historischen Grundlagen zu verstehen, so gilt auch für Ayurveda, dass es ohne einen Rekurs auf seine Grundlagen unverständlich bleibt. (...)

Es gibt viele "Pathien" oder Systeme, die sich mit Schmerz oder Krankheit beschäftigen, z.B. Allopathie, Homöopathie usw. Ayurveda ist keine "Pathie" in diesem Sinn. Ayurveda ist nicht nur eine wissenschaftliche Medizin, d.h. sie betrachtet nicht nur den medizinischen Aspekt des Menschen. Ein Ungleichgewicht, eine Krankheit kann auch im seelischen Bereich entstehen. Wenn man diesen seelischen Bereich nicht beachten würde, würde man fehlerhaft handeln.

Eine kurze Definition von Ayurveda ist: „Ein wissenschaftlicher Weg, wie man gesund leben kann.”

In den Texten (Carakasamhita, Susrutasamhita, Vagabhatasamhita) findet man eine klare Beschreibung eines gesunden Lebens. Ayurveda geht von dem Gesichtspunkt aus, dass es wenig Möglichkeiten gibt, krank zu werden, wenn man sich gemäß der Natur und ihren Regeln verhält.(...) Für ein gesundes Leben versuchte man sich auf alle tangierenden Bereiche zu konzentrieren; wenn man krank ist, versucht man alle Bereiche - nicht nur den medizinischen - ernstzunehmen. Ayurveda legt den Hauptakzent auf dieses "Ernst-Nehmen" sämtlicher Faktoren. Es ist wichtig, dies zu verstehen. Wir wissen, dass seelische Erkrankungen oder auch Herzerkrankungen ohne eine solche Sicht seitens des Arztes und des Patienten nicht heilbar sind. Es geschieht jeden Tag soviel Neues in unserem Leben, Gutes wie Böses, und wir müssen uns mit allem laufend auseinandersetzen. Ayurveda lehrt uns, uns mit diesen Geschehnissen gemäß den Gesetzen der Natur auseinanderzusetzen, um Krankheit zu vermeiden.(...)

Das Thema der Samkhya-Philosophie, auf der Ayurveda aufbaut, ist die Rolle des Menschen im Universum und zwar wird sie nicht in der Dualität des Eroberers und des Besiegten gesehen, sondern im Ineinandergreifen zweier Ganzheiten - Jivatman / Paramatman. Das Atman (Selbst) im Menschen ist der Vertreter des Unendlichen, des Universums in uns. Das Jivatman ist in jedem lebendigen Wesen vorhanden, verantwortlich für seine Wünsche, Bedürfnisse, usw. Ich bin z.B. hungrig, ich frage mich, wer bin ich oder ich höre Musik. Es genügt nicht zu behaupten, dass es nur der Ohren bedürfe zu hören, der Zunge zu schmecken usw. Es ist nicht das Physische allein, das diese Effekte hervorruft. Bei einem Toten z.B. ist das Physische noch vorhanden, und trotzdem fehlt etwas, um zu hören, sehen und schmecken zu können. Das Atman fehlt, und so kann der Tote nichts erleben. Das Atman ist das Prinzip, das etwas haben möchte, Wünsche äußert; es selbst tut jedoch nichts dazu, um sich diese Wünsche zu erfüllen. Das Atman jedoch empfindet, was ich esse und trinke, unterscheidet die verschiedenen Geschmäcker. Es wäre verfehlt zu vermuten, dass wir alles am Menschen erklären können, wenn wir es biochemisch analysiert haben. Die Samkhya-Philosophie beschreibt zwei Prinzipien, durch die etwas entsteht oder in Gang gebracht wird : Das Atman ist das erste Prinzip, es gibt seine Befehle, und die Organe führen sie aus. Dazu ist das zweite Prinzip, die Prakrti, die Kraft der Schöpfung nötig; z.B. müssen zwei Prinzipien beim Menschen für die Zeugung da sein - Mann und Frau. Dieses kosmische Bewußtsein in jedem Einzelnen, das Urvertrauen in einem Prozeß, das Vertrauen, dass es z.B. für jeden Wunsch eine Erfüllung, für jede Frage eine Antwort gibt. Dieses Vertrauen ist in manchen Situationen völlig absurd (jemand schreit nach dem Mond), wird aber dadurch nicht irreal. Jedoch ist die Realität dieses Vertrauens hinter den Kulissen von Sattva (Wahrscheinlichkeit), Rajas (Zweifel) und Tamas (Irrtum) verschleiert. Man spricht daher leichtfertig davon, dass diese drei Prinzipien aus dem Urvertrauen (Atman) hervorgegangen wären und spannt den Bogen vom Urvertrauen bis zu den Organen wie in einem Emanationsvorgang (Hervorgehen des Unvollkommenen aus dem Vollkommenen). [aus: Grundlagen des Ayurveda Bd.1, Vorträge von Prof. Nanal]

Die traditionelle Medizin in Indien - Ayurveda

Zur Geschichte des Ayurveda

Die indische Philosophie hat vor mehr als 3000 Jahren das damalige Wissen in den vier grundlegenden Büchern der Wissenschaft (Veden) niedergelegt. Der Originaltext ist in Sanskrit verfasst. In diesen vier Veden finden sich bereits Elemente des Ayurveda. Für die Geschichte des Ayurveda gibt es hauptsächlich zwei Darstellungen: Als Weiterentwicklung des vierten Veda (Atharvaveda oder Veda der Atharvans, d.h. Medizinmänner oder Zauberheiler). Als „Neue Medizin”, entstanden aus den besonderen Gefahrensitutationen des Kriegsgeschehens.

Die erste Darstellung betont die Kontinuität dieses Wissenszweiges mit der brahmanischen Religion, die zweite trägt der Ohnmacht dieser Religion auf dem Gebiet der Medizin am Kriegsschauplatz Rechnung. Die Veden, denen diese Medizin entstammt, werden als die ältesten klassischen Schriften der Welt bezeichnet. Die gegenwärtig ältesten verfügbaren Klassiker des Ayurveda sind Caraka Samhita (Compendium des Caraka), Susruta Samhita (Compendium des Susruta), Vagabhata Samhita (Compendium des Vagabhata). Sie entstanden höchstwahrscheinlich 500-100 Jahre vor der christlichen Zeitrechnung und wurden danach von vielen Gelehrten dieser Medizin überarbeitet. Die Meinungen über die Entstehungszeiten dieser Texte gehen weit auseinander. Bei Susruta liegt die Spanne zwischen 1000 v.Chr. und 500 n.Chr., bei Caraka noch davor, während bei Vagabhata die Spanne von 300 v.Chr. bis 800 n.Chr. anzusetzen ist. Ürsprünglich wurde Ayurveda in zwei Schulen aufgeteilt, die Schule der Ärzte und die Schule der Chirurgen.

Ayurveda bedeutet soviel wie "volles Leben", d.h. langes und reiches Leben. Ayurveda ist wörtlich übersetzt die Wissenschaft des „vollen Lebens”. Die im folgenden skizzierte Philosophie über Leben und Krankheit nimmt ihren Ausgangspunkt vom Spannungsfeld des Körpers des Individuums. Das in seinem Wohl- und Unwohlsein befindliche Subjekt gibt sich hier Rechenschaft über das „Subjektive” in ihm. Der Körper und alle seine Teile sind nach Ayurveda aus fünf Elementartäuschungen (Pancabhutas) zusammengesetzt, die gewöhnlich als Substanzielles beschrieben werden. Es sind dies Prthvi (Erde), Jala oder Apas (Wasser), Tejas (Feuer), Vayu (Das Bewegliche, die Luft) und Akasa (Raum). Es wird dabei von einer Akzentuierung dieser Substanzen als Elemente in verschiedenen Strukturen (Organen) und Funktionen (Tätigkeiten der Organe) innnerhalb des Organismus gesprochen. Die Entwicklung und das Wachstum des Körpers hängen streng von seiner Ernährung ab, also auch von der Art der Nahrung. Auch die Nahrung ist aus den fünf oben genannten Elementen (Bhutas) zusammengesetzt, die die nämlichen Elemente des Körpers jeweils wieder auffüllen bzw. unterhalten. Nach Ayurveda ist der Mensch ein Mikrokosmos lebend in einem Makrokosmos oder Universum. Im Mikrokosmos liegen also die Elemente (Bhutas) vor, die auch im Makrokosmos vorkommen. Die Kenntnis der fünf Elemente (Bhutas) hilft daher, Stoffe (auch Arzneimittel) auf der Basis von sogenannten Eigenschaften zu klassifizieren. Beim Menschen stehen diese Stoffeigenschaften in Beziehung zu den fünf Sinnen, wodurch er nach Ayurveda in die Lage versetzt werden soll, einen subjektiven Kontakt mit dem objektiven Universum herzustellen.

Diese Betrachtungsweise von Leben und Krankheit durch Ayurveda entstand zu einer Zeit, als die Kenntnisse über die Natur (Naturwissenschaften) minimal und auch mit erheblichen Fehlvorstellungen durchsetzt waren. Obwohl früher mit ähnlichem Gedankengut wie Ayurveda versehen, hat sich die westliche oder moderne Medizin laufend der Entwicklung der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse angepaßt und sie genutzt. Ayurveda ist diesen Weg praktisch nicht gegangen. Daraus ergibt sich denn auch eine Konfliktsituation zwischen dem traditionellen System von Ayurveda und der westlichen Medizin. Dies insbesondere, weil bei Ayurveda die philosophischen Gesichtspunkte so extrem im Vordergrund stehen, während bei der westlichen Medizin der Blick auf einzelne stark erkrankte Organe und Messdaten derzeit ein starkes Übergewicht hat.

Ayurveda erlangte in Indien große Bedeutung, sowohl in der Präventivmedizin, als auch in der heilenden Medizin. Er stellt möglicherweise die älteste medizinische Wissenschaft dar, die eine besondere Betonung auf die Betrachtung der Gesundheit als etwas Postitivem legte, und zwar auf die Betrachtungsweise der Gesundheit, die mehr ist als die bloße Abwesenheit von Krankheit. Gesundheit ist eng verbunden mir physischem, psychischem, sozialem, moralischem und geistigem Wohlergehen. Das System der Ayurveda-Medizin beschäftigte sich daher eingehend mit dem Wissen über ein sorgfältiges Leben und gibt über die gesamte Lebensdauer Regeln für ein gesundes Leben.

Die grundlegenden Konzepte von Ayurveda definieren das Leben als Einheit von Körper, Sinnen, Geist und Seele. Der lebende Mensch selbst besteht aus einer Mischung von drei Dosas, die, obwohl symbolisch wie Substanzen zu behandeln, in der Tat als Prinzipien des Energiehaushaltes vorzustellen sind, sowie sieben Grundgeweben (Sapta Dhatus) und drei Exkretionen (Trimalas). Diese bilden sozusagen die Körpermatrize (Deha). Maßgebende funktionelle Einheiten des Körpers sind Sarira und Deha. Etymologisch bedeutet Sarira den Ort, an dem abbauende Prozesse stattfinden, mit moderner Terminologie würde man von Katabolismus sprechen. Dagegen ist mit Deha mehr das Wachstum und der Aufbau, als der Anabolismus gemeint.

Die Lehre über Ayurveda stellt weiterhin sehr stark heraus, dass der Körper bzw. sein Zustand das Ergebnis seiner Ernährung seien. Die Gesundheit ist daher stark abhängig von der Nahrungsaufnahme, der Verdauung, der Resorption und dem Stoffwechsel der Nahrung. Das verdauende „Feuer”(Agni) hat daher eine Beziehung zu den Dosas (Prinzipien des Energiehaushaltes), Dhatus (Geweben) und Malas (Exkretionen). Nach Ayurveda ist ein Mensch dann gesund (svastha), wenn bei ihm normale Verdauung und exkretorische Funktionen mit Frieden der Seele, des Geistes und der Sinne verbunden sind (Prasanmatmendriyamanah). Die Krankheit dagegen ist das Ergebnis eines Ungleichgewichtes von einem oder mehreren dieser Faktoren.

Von den genannten Faktoren ist die Seele (Atman) die Ursache des Lebens. Der Geist (Manas) ist abhängig von drei angeborenen Geistes-Qualitäten, den Trigunas : Sattva, Rajas und Tamas. Ein Mensch mit Überwiegen der Sattva-Komponente verfügt über geistiges Gleichgewicht, Klarheit sowie Reinheit von Gedanken und Ideen; fühlt Vergnügen usw. Eine Person mit starkem Anteil der Rajas-Qualität ist voll Energie und Aktivität und jemand, bei dem die Tamas-Qualität dominiert, besitzt ein Übermaß an Trägheit, Passivität, Verwirrung, Wahn und Unwissenheit. Die Resultate aus dem Zusammenwirken all dieser Trigunas kennzeichnen somit den jeweiligen Zustand des Geistes.

Dosas-Prinzipien des biologischen Haushalts

So kennt Ayurveda drei Qualitäten oder Komponenten, die im Zusammenhang mit dem Körper stehen und deren Gleichgewicht untereinander oder deren Abweichen vom Gleichgewicht maßgeblich für dessen Zustand sind. Es sind die drei Prinzipien des biologischen Haushalts : Vata - Pitta - Kapha.

Die ayurvedischen Smhitas kompendieren die Zusammensetzung des Menschen, aber auch als eine Einheit aus geistigen, geistlichen und physikalischen Faktoren. Zum Verständnis dieser Prinzipien, die das subjektive Befinden regulieren, gehört im wesentlichen die Anerkennung einer Grundeigenschaft ayurvedischen Denkens. Es werden in Ayurveda Prinzipien und Substanzen usw. durch Beziehungsgeflechte von Merkmalen definiert und nicht als Ursache oder Träger von Merkmalen abstrahiert.

Wiederum gehen diese Beziehungsgeflechte von Qualitäten aus, die nicht durch Konventionen normiert sind, sondern das Subjektive zum Ausgangspunkt nehmen. Die obengenannten Bhutas sind jeweils verschiedene Konglomerate solcher Qualitäten. Aus Gegensatzpaaren wie weich/hart, viskos/flüssig, ölig/rauh, klebrig/locker usw. werden ganz bestimmte Muster von Beziehungen aufgestellt, die man als elementar bezeichnet. Diese sind die Bhutas. Wiederum werden unter den Bhutas dann Beziehungsmuster aufgestellt, welche die Dosas bilden.(...)

Vata, Pitta und Kapha sind die drei Grundprinzipien des Energiehaushaltes (Dosas) des Körpers, welche gegenüber sogenannter Imbalance und Verderblichkeit empfänglich sind. Durch Imbalance dieser drei Grundprinzipien untereinander werden strukturelle und funktionelle Elemente des lebenden Körpers geschädigt; und auf diese Weise entstehen Krankheiten verschiedener Art. Sie werden deswegen Dosas genannt, weil sie den Körper stützen, bzw. unterstützen, solange er sich innerhalb günstiger Grenzen, das heißt in einem Stadium des Gleichgewichtes befindet. Unter Vata versteht man eine Art Initiator und Promotor für biologische Aktivität, der nicht als stofflich anzusehen und relativ instabil ist. Pitta ist im allgemeinen verantwortlich für die Bildung von Körperwärme, den Stoffwechsel und bestimmte physiologische Eigenschaften des Individuums. Der Charakter von Kapha besteht mehr in den physikalischen Eigenschaften wie schwer, kühl, weich, viskos, stabil, süß und schleimig. Die Kaphas sind verantwortlich für das Funktionieren sowie das Zusammenhalten von Strukturen des Körpers, die Stabilität des Körpers, das Bewußtsein, die Stärke und die Widerstandsfähigkeit gegenüber Krankheit und Verfall. Sie verleihen weiterhin Geduld und Seelenstärke.

Sapta Dhatus - sieben Gewebe

Die sieben Grundgewebe des Körpers existieren als geformte Wesen und zeigen Änderungen in Bildung und Abbau, die von den daran beteiligten metabolischen Prozessen abhängen. Sie werden durch einen Milchsaft (Ahararasa) gebildet und ernährt. Fortschreitende Umwandlung der Gewebe ist das Ergebnis komplexer und verwickelter metabolischer Vorgänge im Mikrobereich. In der ihr eigenen Sprache hat die ayurvedische Medizin also bereits recht subtile physiologische Zusammenhänge herausgearbeitet - freilich auf der Grundlage der naturwissenschaftlichen Kenntnisse vor bis zu 3000 Jahren.

Bedeutung der Ernährung

Ayurveda versteht die Krankheit als einen Zustand der Disharmonie im Körper. Daraus ergeben sich für ihn die Prinzipien des therapeutischen Vorgehens und der Auffindung von Arzneimitteln. Ziel der Therapie ist es letztlich, die normale Balance wieder herzustellen. In diesem medizinischen System nimmt die Diätetik beim Gesunden und beim Kranken einen wichtigen Platz ein. Die Nahrung beeinflußt nicht nur den Körper, sondern auch die geistige und physische Aktivität. Die Klassifizierung der Nahrung wird ähnlich wie bei den Arzneimittel gemäß ihrer Gunas (physikalische Eigenschaften), Rajas (Geschmack), Viryas (arzneiliche Wirkungskraft) und Vipakas (Verwandlung im Verdauungsprozeß) sowie unter Berücksichtigung des Überwiegens bestimmter Teile der elementaren Zusammensetzung vorgenommen.

Psyche, Körperfunktion und Krankheit

Die Beschäftigung mit den Launen, Gefühlen und Widersprüchlichkeiten des "Vermeintlich-Subjektiven" in Ayurveda spiegelt sich wider im Konzept von Prakrti oder der Konstitution des einzelnen. Psyche und Soma werden nicht als getrennte Prinzipien der Persönlichkeitsbildung angesehen, sondern als Aspekte der Prakrti. Demnach stammen die Appetite des Menschen, sein Verlangen nach den verschiedenartigsten Geschmäckern, sein Streben nach Lust, sein Hunger nach Anerkennung und ähnliches mehr einer zugrundliegenden Täuschung, die verankert ist in der sozio-psychologisch geprägten und erblich körperlich überkommenen Konstitution, die man gewöhnlich Prakrti nennt. Auffallend ist, dass psychische wie physische Eigenschaften, organische wie geistige Erkrankungen nicht auf getrennte Prinzipien zurückgeführt werden, sondern letztendlich auf ein und dieselbe Prakrti. Je nachdem, welcher der Dosas und Bhutas die Prakrti sich bedient, spricht man von einer Vataja -(aus Vata entstandenen), Pittaja -(aus Pitta entstandenen) oder Kaphaja -(aus Kapha entstandenen) Prakrti, die entsprechend für eine Vataja-, Pittaja- oder Kaphaja-Erkrankung empfänglich macht.(...)

Der Typisierung der Menschen nach Vata, Pitta und Kapha mit den dafür jeweiligen charakteristischen Erkrankungen könnte man nach moderner Nomenklatur die Konstitutionstypen des Athleten, Pyknikers und Leptosomen gegenüberstellen. Auch kennt die westliche Medizin Krankheiten, die für diese Konstitution jeweils typisch sind.

Beurteilung der Philosophie von Ayurveda und Vorschläge

Die Philosophie, die der ayurvedischen Medizin zugrunde liegt, ist ein erstaunlich logisches Gebäude, das eine Reihe von Elementen enthält, die nicht nur Parallelen in der modernen Medizin haben, sondern auch auf psychologisch-physiologische Zusammenhänge verweisen, die auch heute noch Gültigkeit haben. Allerdings muß sich Ayurveda von der Betrachtungsweise freimachen, die vor mehr als 3000 Jahren auf dem damaligen Stand der naturwissenschaftlichen Kenntnisse zu ihrem Entstehen geführt hat und zu dieser Zeit berechtigt war. Der Ayurveda muß versuchen, sein philosophisches Gebäude mit dem heutigen Stand der naturwissenschaftlichen Kenntnisse in Einklang zu bringen, wenn er auf Dauer überleben will. Man stelle sich vor, man hätte vor 3000 Jahren etwas vom Limbischen System und von der psycho-vegetativen Kopplung gewußt, so wäre dies sicher in die Philosophie dieser Medizin eingegangen. Auch die moderne Medizin liefert eine Menge von Beispielen dafür, dass Imbalancen im psychisch-physischen und sozialen Bereich, in der Ernährung, im Klima, durch die Einnahme von Genußgiften usw. zu Krankheiten führen. Und es besteht kein Zweifel, dass die Wiederherstellung von Bedingungen, die Imbalancen beseitigen, erstrebenswerter ist, als die Beseitigung von Krankheitszuständen oder Beschwerden durch stark wirkende Arzneimittel.

In der modernen Medizin wird einem solchen Vorgang wegen der zum Teil starken Spezialisierung, der Erwartungshaltung der Patienten an eine rasche Besserung und wegen der hohen Kosten längerdauernder Behandlung leider nicht mehr der erforderliche Stellenwert beigemessen. Auch die Typisierung der Dosas, die im Grunde vernünftig ist, muß in ihrer Beschreibung und Auslegung dem Stand der jeweiligen naturwissenschaftlichen Kenntnisse angepaßt werden. Eindringlich muß auf Ayurveda eingewirkt werden, dass er die Grenzen seiner Leistungsfähgkeit erkennt und dass Patienten, die durch modernen Medizin besser versorgt werden könnten, nicht unnötig einer unter Umständen wirkungslosen Therapie aus Prinzipiengründen unterzogen werden, sondern unverzüglich einer modernen, eventuell spezialisierten Behandlung zugeführt werden.

Prinzipien der Zusammensetzung und der Wirkung ayurvedischer Arzneimittel

Die von Ayurveda verwendeten Arzneimittel sind in erster Linie pflanzlichen Ursprungs. Auch mineralische und animalische Produkte werden verwendet. Die Wirkung bzw. Wirkungsweise der Arzneimittel gründet sich in der ayurvedischen Medizin auf die für sie grundlegenden Doktrinen über die Panchamahabhuta (5 Elemente) und die Tridosa, welche, wie dort bereits erörtert, beide die physiochemischen bzw. biologischen Phänomene des Körpers bestimmen. Aufbauend auf dem Gesetz von der Einheit der Natur (Loka-Purusa-Samanya) vertritt Ayurveda den Standpunkt, dass Arzneimittel ähnlich wie der lebende Körper zusammengesetzt seien und dass Arzneimittel den Körper beeinflussen, dass sie das Verhältnis der seine Zusammensetzung bestimmenden Faktoren ändern. Ihre- je nach Art der verwendeten Arznei - unterschiedlichen Wirkungen auf den Körper kommen zustande, indem sie letzendlich Einfluß auf die eine oder andere der Tridosa (Vata, Pitta, Kapha) ausüben.

Diese Betrachtungsweise für die Arzneimittelwirkungen geht zunächst davon aus, dass jedes Leben in der Natur einschließlich der Pflanzen (und zu ihnen gehören die meisten Arzneimittel) und des menschlichen Körpers aus den fünf Mahabhutas (Elementen): Prthvi (Erde), Jala (Wasser), Tejas (Feuer), Vayu (Luft) und Akasa (Himmel) zusammengesetzt ist. Bei der Kombination von einzelnen Arzneistoffen zu einer Arznei werden z.B. Pflanzen je nach den bei ihnen besonders ausgeprägten und für die Therapie erwünschten Mahabhutas ausgewählt. Auf das Vorhandensein bestimmter Mahabhutas wird aufgrund ihrer mehr physikalisch-chemischen Eigenschaften, bzw. wie diese Eigenschaften durch die Sinnesorgane wahrgenommen werden (z.B. Rasa)=Geschmack), geschlossen.(...)>br>

Arzneiformen Die ayurvedische Medizin kennt nicht nur grobe Pulver getrockneter Pflanzen, sondern auch eine Vielzahl anderer Arzneiformen, die aus ihnen hergestellt werden. Da die unterschiedlichen Pflanzenteile unterschiedliche Eigenschaften - im ayurvedischen Sinn - haben, werden von einer Pflanze jeweils nur diejenigen Teile verwendet, die die gewünschte Eigenschaft besitzen. Jede Arzneiform hat ihre spezielle Indikation. Die Zubereitung der einzelnen Arzneiformen unterliegt festen Regeln. Ein wichtiger Gesichtspunkt ist, dass durch sie nicht nur pharmakologische Wirkungen, sondern auch die Rasa-, Guna- usw. Eigenschaften in der Arznei voll zum Tragen kommen.

Beurteilung der Therapie mit ayurvedischen Arzneimitteln aus der Sicht der modernen Pharmakologie

Während also in der westlichen modernen und naturwissenschaftlich begründeten Medizin die pharmakologische Wirkung der Arzneimittel im Sinne der Wirkung einer bestimmten Substanz auf ein Organ - eine Zelle oder auch eine Erregerzelle - ganz im Vordergrund der Betrachtungsweise und auch des therapeutisch gewünschten Zweckes steht, haben wir bei Ayurveda andere "Wirkungsprinzipien". Sie gründen auf die Bedeutung der fünf Elemente und ihrer Beeinflußbarkeit im Körper durch solche Arzneimittel, die diese Elemente in sich tragen, sei es, dass dabei der Geschmack (rasa) als deren Indikator herangezogen wird, sei es, dass sie wie bei den Gunas, aufgrund gewisser physikalischer Eigenschaften zugeführt werden.

Das Beziehungsgeflecht von Elementen, Rasas, Vipakas und Viryas müßte von Grund auf neu überdacht werden, will man heute nicht einer absurden Vorstellung von ihren Wirkungsweisen verfallen und damit den Kernansatz der Interaktion zwischen Konstitution des jeweiligen Patienten und seiner Umwelt verfehlen. In der Form, wie diese Lehre heute zumeist in Indien vertreten wird, ist sie vom wissenschaftlichen Standpunkt, damit nicht nur pharmakologisch, nicht haltbar. Die Tatsache, dass Ayurveda den Begriff Virya (die Kraft der Wirkung, z.B. der Gunas) kennt und auch eine Dauer der Wirkung, könnte man so interpretieren, dass Arzneimittel mit bestimmten Gunas eben doch über pharmakologische Wirkungen im modernen Sinne verfügen.

Dagegen ist durchaus denkbar, dass Rasas über den psychovegetativen Weg Einflüsse auf den Organismus ausüben können (die Arzneimittel von Ayurveda verfügen über einen intensiven Geschmack und Geruch). Inwieweit dadurch bestimmte Krankheitsbilder der Vata-, Pitta-, Kapha-Terminologie beeinflußt werden, wäre wert, wissenschaftlich mit modernen Methoden untersucht zu werden. Dies auch deswegen, weil eine jahrtausendelange Erfahrung die offensichtlich günstige Auswirkungen dieser Behandlung ergeben hat. Das gleiche gilt mit den eben gemachten Einschränkungen sicher auch für Guna mit Virya.

Ayurveda kennt als zweites Wirkunsprinzip Prabhatva, also die spezifische pharmakologische Wirkung bestimmter Pflanzen, Mineralien und Stoffe tierischer Herkunft. Wirkstoffe und ihre etwas anspruchsvollere Pharmakologie, wie wir sie heute in der westlichen Medizin anwenden, sind allerdings zu wenig mit modernen Methoden untersucht. Das Wissen über spezifische Wirkungen, z.B. Laxation, Erbrechen- auslösend usw., stammt aus jahrtausendealter Empirie. Hier sind allerdings Ansätze zur Forschung erkennbar. Sie sollte intensiviert werden.

Die Arzneiformen entsprechen denen, die auch bei uns bis etwa zur Jahundertwende zur Anwendung kamen. Sie enthalten kaum stark wirksame Stoffe (weswegen von Ayurveda immer wieder auf das Fehlen von Nebenwirkungen hingewiesen wird).

aus Jahrbuch für Yoga, Hrsg: Dr. Rocque Lobo, Otto Wilhelm Barth Verlag, ISBN 3-502-67702-6, Seite 137-157)



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