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2004/2005 - betriebliche Gesundheitsförderung für Taxler



Interview mit Prof Dr. Rocque Lobo für das Taxi-Magazin Ventil 3/2004

München/ Prof. Dr. Rocque Lobo ist seit 1980 für die Belange der Gesundheitspädagogik in der Ausbildung von Sozialarbeitern an der FH-München zuständig. Ventil sprach mit ihm über seinen neuesten Schwerpunkt, die betriebliche Gesundheitsförderung für Taxifahrer.

Ventil: Prof. Lobo, was hat Sie motiviert, ausgerechnet die Gruppe der Taxifahrer auszusuchen, um Ihre Modelle der betrieblichen Gesundheitsförderung zu erproben?

Lobo: Experimente für die betriebliche Gesundheitförderung sollten dort stattfinden wo tatsächlich gearbeitet wird. Im Falle des Taxifahrers ist es der im Raum und Zeit sehr mobil gewordene Arbeitsplatz. Dieser ist beispielhaft für viele andere Arbeitsplätze zu gestalten und im Sinne der Ergonomie zu untersuchen. Doch dabei habe ich das Gefühl, dass die beschlossenen Gesundheits- und Arbeitsplatzreformen über mir schweben wie ein Damoklesschwert.

Ventil: Wieso denn das?

Lobo: Ich arbeite mit und für Taxifahrer, Lieferanten und Lastwagenfahrer an der Verbesserung ihrer Lebenssituation, die sich in der Auftragslage seit dem 11.09.2001 drastisch verändert hat. Aber kaum jemand bringt dies in Zusammenhang mit der Gesundheitsreform 2004/05. Die Gesundheitsreform versucht, ein Versorgungsystem funktionsfähig zu erhalten, ohne sich Gedanken über die ursprünglichen Eckpunkte dieses Systems vom Ende des 19. Jhdts. zu machen, die unter Mitwirkung sozial weitsichtiger Personen (z.B. Virchow, Chadwick, Nightingale, Lasalle, Bebel) gesetzt wurden. Es wurde kreiert, um aus dem Teufelskreis von Armut (die für schlechte Ernährung und Abbau der Immunkräfte sorgt), Krankheit (die aus dieser Schwächung der Gesundheit resultiert) und Arbeitslosigkeit (die aus den Verlust der Leistungsfähigkeit durch Krankheit entsteht) auszubrechen. Heute setzen es sich die Gesundheitsökonomen offensichtlich zum Ziel, diesen Teufelskreis zu reanimieren. Dazu kommt, dass Krankheit vor etwa 50 Jahren als Rohmaterial entdeckt wurde, das veredelten Mehrwert für die Gesundheitsproduzenten schaffen kann.

Ventil:Halten Sie also nichts vom Bonus-System der gesetzlichen Krankenkassen für die Nutzung von Fitness- und Wellnessangeboten

Lobo: Ich halte diese Angebote für eine Mogelpackung. Bei der allgemeinen Verlängerung der Wochen- und Lebensarbeitszeit und Kürzung der Urlaubstage kann man die Freizeit durch die Inanspruchnahme von Fitness- und Wellnessangeboten nicht immer weiter strapazieren. Im Falle eines mobilen Arbeitsplatzes können solche Maßnahmen in der Form wie sie derzeit z.B. Volkshochschulen an bieten, kaum angenommen werden. Wo der Taxifahrer im Stadtverkehr auf einen neuen Kunden wartet, müsste er vor seinem Fahrzeug auf und ab hasten, um seinen obligatorischen 1 km-Spaziergang zu absolvieren. Aber davon ist in den Präventologie-Programmen der Gesundheits-ökonomen nicht die Rede.

Ventil: Was würden Sie vorschlagen, wenn Sie z.B. zur Rürup-Kommission gehörten?

Lobo: Ich wünschte, dass sowohl die Hartz- als auch die Rürup-Kommission das eigentliche Problem sehen würden: Die Verarmung der Menschen an mobilen Arbeitsplätzen darf keineswegs mit der Reduzierung ihrer gesundheitlichen Versorgung verknüpft werden, wie dies derzeit durch Rationalisierungen geschieht.

Das heißt, dass die Versorgung der mobilen Arbeitnehmer durch kurative und vor allem präventive Maßnahmen des Gesundheitssystems nicht durch die Aufforderung erschwert werden soll, am Abend lange Wegstrecken zurückzulegen, um an irgendwelchen Kursen teilnehmen zu können. Auch bei der betrieblichen Versorgung ihrer Arbeitsplätze durch einen Betriebsarzt herrschen an Taxi-Rastplätzen primitive Verhältnisse: Die gesundheitliche Versorgung mobiler Menschen wird Gott und der Natur überlassen.

Ventil: Sollte demnach Ihr kleines Angebot an „shake-spear Aktivierungstraining® ” *) für Taxifahrer vor Ort in München Modellcharakter haben?

Lobo: Ich denke schon und ich freue mich, dass verschiedene Zeitungen, u.a. die SZ und Ventil auf die Idee, die dahinter steckt aufmerksam machen. Gesundheitsvorsorge für Menschen in mobilen Arbeitsplätzen muss, wenn die Gesundheitsreform wirklich Früchte tragen soll, ganz konkret zum Mann auf der Straße hingetragen werden.

Ventil: Vor etwa sechs Monaten hieß es, dass in der gegenwärtigen Konjunktur-Flaute in Deutschland nur noch die Fitnessbranche und der Freizeitsport Wachstum aufweisen. Doch beim Fitness-Festival in München vor einigen Monaten kamen lediglich 22000 Besucher statt der prognostizierten 50000. - Woher kommen diese widersprüchlichenn Meldungen aus Ihrer Sicht?

Lobo: Das Gesundheitssystem in Deutschland ist seit einiger Zeit dabei, endgültig die Prävention von Krankheit zu betreiben, ohne die steigenden Belastungen am Arbeitsplatz mit in Betracht zu ziehen. Beim Taxi-Geschäft, handelt es sich um Belastungen nervlicher Art die auf das Blutkreislaufsystem übergreifen. Benzin-preiserhöhungen machen sich z.B. in diesen beiden körperlichen Systemen als chronische Existenzangst bemerkbar. Diese salopp als Stress bezeichnete Ursache führt auf Dauer zu den bekannten Zivilisationskrankheiten wie Krebs und Blulkreislaufsystemische Störungen. In der Behandlung solcher Erkrankungm ist die qualitativ hochwertige medizinische Versorgung dabei, den finanziellen Bogen völlig zu überspannen. Kostspielige Therapien kann sich die Solidargemeinschaft nur für einen kleinen Prozentsatz der Versicherten von derzeit etwa 8% leisten. Sollten die chronischen Erkrankungen diese Grenze übersteigen, so ist der Point of no return erreicht und das System dem Zusammenbruch geweiht. Krankheitsprävention hätte deshalb die eminent wichtige Aufgabe, die Zahl der chronischen Erkrankungen so niedrig wie möglich zu halten. Koppelt man aber die Prävention aus der betrieblichen Gesundheitsförderung aus und beauftragt Sportvereine, Fitness-Center oder gar Volkshochschulen und Kneipp-Vereine damit, so entledigt man sich der Beweispflicht, dass die Präventionsmaßnahmen wirklich Früchte tragen. Beim Kollaps des System weiß dann niemand mehr, wer daran schuld war. Um die gesundheitsökonomischen Widersprüchlichkeiten in der Fitness- und Wellnessbranche zu verstehen, muss man die Teuerungsraten auf den Sektor der medizinischen Technik der Behandlung einzelner chronisch Erkrankter und die steigenden Zahlen chronisch Kranker, Behinderter und Pflegebdürftiger dagegen halten, dann wird klar, dass die Freizeitgestaltung in Fitness- und Wellness-Clubs weitab von der betrieblichen Gesundheitsförderung zwar attraktiv sein mag, ihre Aufgabe als Präventiv-Maßnahme gegen die Entstehung von Zivilisationskrankheiten aber überhaupt nicht erfüllt.

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